Refugium 2018


„Refugium?“


Malerei von Susanna Soro-Weigand in der Produzentengalerie „Artikel 5“ in Aachen


Susanna Soro-Weigand hat ihre Ausstellung trefflich „Refugium?“ genannt. Das bezeichnet einen Zufluchtsort, der nicht die wirkliche Heimstatt ist, eine selbstgewählte und gestaltete Rückzugstätte, die etwas Provisorisches an sich hat, also eine Art Schutzraum darstellt, der in seinem Abgeschottetsein sowohl Konzentration und Unabgelenktsein bewirken kann, als auch Ausblendung und Realitätsferne. Er vermittelt ein Sicherheitsgefühl durch seine Umhüllung, eine gewisse Wärme. Etwas von einem Refugium hat auch ihr Atelier im Hinterhof ihres Hauses, mit einem Bollerofen nicht immer nur warm. Hier erarbeitet sie ihre Werke, die zu einer Art experimenteller Siebdruckmalerei gehören. Dafür ist mehr Anstrengung und Kraft erforderlich, als die zartblütig wirkenden Arbeiten zunächst vermuten lassen. Ein einzelnes frühes Werk von 1996 zeigt die lange Auseinandersetzung mit dieser Verfahrensweise.


Die anderen Arbeiten stammen von 2017 und 2018 und sind in Paaren oder Kleinzyklen entstanden. Der erste Eindruck erinnert in seinen blassen, zurückhaltenden Farben an leicht abgewetzte und verblasste Fresken. Eine Farbigkeit tritt zu Tage, in der lebendiges Gelb, Orange und Grün, durchaus Naturfarben, vorkommen, auch ein türkisblau, das für die Künstlerin mit ihren Wurzeln in Sardinien als Kindheitserinnerung verbunden ist, also Farbklänge, die an Vergangenes, an verlaufene Zeit gemahnen. Zeit haben auch diese Werke hinter sich, obwohl sie aus diesem Jahr sind, denn sie entstehen in prozesshaften Schichten. Das wesentliche in der Erarbeitung ist durch Überlagerung präsent. Sie arbeitete mit Planung und Vorskizzen, so dass später wieder sichtbar werdende Untergründe notwendige Vorarbeit und einem Zeitverlauf adäquate Auftragsreihenfolge sind. Es tauchen auch bestimmte sinnbildhafte Zeichen in der Malfläche auf. Die Phänomene an der Oberfläche aber verdanken sich maßvollen Zufallsstrukturen. Hier wird mit einem Siebdruckrasternetz gearbeitet, auf das und durch das die Künstlerin malt und mit dem sie die Farbmasse auf die Leinwand presst und drückt, beim Abziehen des Siebdrucknetzes feuchte Malmasse wieder als Schollen abträgt und dabei den Untergrund aufreißt. Mit Erfahrungswerten, wann man das Netz wieder abheben muss, erwirkt sie steuerbare Strukturen, die in der Farbmasse hinterlassen werden. In dem Gemalten befinden sich als Grundlage und Assoziationskeim eingebettet bisweilen auch selbstgemachte Fotografien.


Dieser Mal- oder Farbschöpfungsprozess zeigt neben abstrakt-informellen Formwelten als figurative Einfügungen verschiedene kokonhaft umschlossene Elemente: Eiformen, Büten, Früchte, Blasen, Sphären, Waben und Zellen. Es sind körperhafte Formen wie Köpfe, Leiber, Hände und Herzen dabei oder befüllbare wie Löffel oder Stühle. Ziegelwandnahe Flächen oder Berge stehen für „Umgebungen“. Diese Elemente haben mit Volumen, mit abgeschottetem Raum, mit Körperhaftigkeit zu tun. Trotzdem ist die Anmutung flach. Es ist kein Tiefenraum suggeriert, sondern eine ortlose und auch zeitlose Bildfläche, die mit Erinnerung und vergangener Zeit zu tun hat. Das erinnert auf einer formal profanen Ebene an eine Seherfahrung, die auch sie gemacht hat, als sie verblasste und nicht entfernte Werbungen und Schriftzüge an Häuserfassen etwa in Frankreich fotografierte. Ähnlich in Farbton und Fragmentierung bildet das Eigenleben des Vergehens dabei poetisch malerische Sekundärwirkungen, sogenannte Alterungserscheinungen. Die in den ausgestellten Werken jedoch künstlich erzeugten Formen, greifen diese Wirkung als Möglichkeit der Entrückung auf und leiten die gestifteten Assoziation mit Zeichenwelten in bestimmte Richtungen. Ziegelhafte Riegel lassen sich als Zellen eines Stengels auffassen, jedoch sind sie verkippt, genauso wie die antik wirkende Genienfigur in einem anderen Bild. In ein Ei ist ein Herz eingeschlossen. Es geht auch um den Aspekt des Bergens, bzw. des Lebens (Fruchtblase) was darin sichtbar wird.


Bei „get off the tracks“, findet man sich spreizende Gleise zwischen den sphärischen Blasen, die davon frei werden und ihren eigenen Weg gehen, aus der Spur geraten. All diese Binnenelemente, die für abgeschottete individuelle Positionen stehen, sind durchaus zeitaktuell, beziehen sich auf Echoräume sozialer Medien, in denen man nur noch seine eigenen Meinung wiedergekäut findet oder genereller auf die Individualisierung unserer Gesellschaft, die es schwerer macht, so etwas wie Gemeinwesen Aufrecht zu erhalten, weil jeder für sich selbst handelt und denkt. Ein Gegenbild in einem anderen Gemälde wären die Waben der Bienen, die sich gegenseitig wärmen und als Kolonie leben. Jedes Mal geht es trotz dieser sehr abstrahierten Bildelemente darum, wie man sich miteinander verhält oder als Gesellschaft, Hausgemeinschaft, Familie oder Einzelner lebt. Das sieht nach Abschottung und Mönchsklause aus, ist aber Rückzug, Distanzort und Kraftquelle zugleich. In der Malerei verbergen auch die äußeren Schichten etwas im Inneren, bergen und schützen es. Manches lugt hervor, wird wieder freigesetzt und entborgen, dadurch dass die Schichten schollenartige abgerissen wurden. Abgeblätterte, welke Strukturen bilden das gemeinsame des Stils, die fahle, zurückhaltende Farbigkeit tut ihr Übriges, eine künstlich geschaffene, fremdferne Welt zu suggerieren. Ohne die übliche Plakativität der Werbung, fordert diese Bildwelt, die nichts verbirgt oder vorkaut.


Man muss sich einlassen und wird auch in den Bildraum eingelassen, quasi empfangen und bekommt malerisch Raum zum Erkunden geboten. In einem ähnlichen Raumgefüge mag sich Erinnerung abspielen, segmentiert brodelnd auftauchend, eingebettet und zur Strukturierung als Chronologie oder Zettelkasten angesammelt. Wie, ohne Refugium, könnte man den Strom fortdauernder Reize ordnen und einen Sinn darin vermuten, wenn man sich nicht zurückzöge, um in abgeschotteter Distanz dazu, Zusammenhänge zu finden. Die Gesamtheit der Bilder erzeugt in den Ausstellungsräumen einen kammerartigen Zellenraum, der sich alleine intensiver erfassen lässt. So bildet der Ausstellungsraum selbst noch ein Refugium mit ganz eigener Wirkung, etwas, das die Künstlerin als Komfortzone empfindet, die man wieder verlassen muss, um die Wirklichkeit auch außerhalb der Refugien zu erfahren, die nicht jeder als Schutzraum nutzen kann, etwa Flüchtlinge und Obdachlose. Als Möglichkeit, um nach zu denken, Gedankenspielen zu folgen, wäre ein Refugium wünschenswerter Bestandteil eines entwickelten Lebens, das aber in der Kommunikation und Vernetzung in Zeit und Raum erst organisch wird, einen Zusammenhang bildet, wie die gemachten Bilder, deren Farbkosmos keine sichere Festlegung von Vorder- und Hintergrund und der Standortsuche offenen Raum bietet. Das hat mit teilbarer persönlicher und gegenwärtiger Erfahrungswelt zu tun. Dafür sind es Bilder.


Dr. Dirk Tölke