Susanna Soro-Weigand: Zeit schichten
Ausstellung in der Schaufenstergalerie des BBK Aachen, 28. September 2019
Der sprechende Ausstellungstitel „Zeit schichten“ fasst bereits zusammen, wie Susanna Soro-Weigand arbeitet und welche Intention sie in ihre Gemälde legt: Sie schichtet Farbschicht um Farbschicht auf die Leinwand – so wie sich im Laufe der Zeit Erlebnisse, Gehörtes, Gesagtes in unserer Erinnerung als Sedimentschichten ablagern. Gerne arbeitet sie dabei in thematischen Werkgruppen oder -serien.
Hier zeigt sie die Gruppe der großformatigen Lebenslagen: Köpfe, deren Ausdruck irgendwo zwischen graziler Anmut und großer Lebenserfahrung zu verorten ist. Eine Bildwelt von klassisch-antiker Erscheinung eröffnet sich bei diesen überlebensgroß dargestellten Köpfen. Die horizontale farbliche Zweiteilung des Hintergrundes deutet Raumtiefe nur an. Ort und Zeit, ihr Geschlecht, Alter, Stimmungslage bleiben unklar, die Abstraktion des menschlichen Körpers ist weit vorangeschritten. Die Entindividualisierung des Kopfes – verstärkt durch das teilweise Weglassen der Haare, durch den nicht vorhandenen Mund, den gesenkten Blick und die fehlende örtliche Zuordnung – bietet dem Betrachter die Möglichkeit, denkbare Identitäten und Charakteristika selbst festzulegen. Der Kopf ist physisch fassbar, wird aber durch die Auslassungen in eine fast poetische Ferne gerückt. Nicht das sachliche Physiognomische des Kopfes wird gezeigt, sondern durch Auslassungen und Hervorhebungen wird er zum Stimmungs- und Ausdrucksträger.
Auch die Blütenköpfe präsentieren sich als körperhafte Formen, die zwar sehr plastisch hervortreten, sich aber zugleich in einer ort- und zeitlosen Bildfläche befinden und trotz der Andeutung einer verwitterten Backsteinmauer wie eine flüchtige, vergängliche Erinnerung wirken. Die Beschäftigung mit Erinnerung – die immer eine Mischung ist aus tatsächlich Erlebtem und dem, wie wir es gegenwärtig interpretieren – führt für Susanna Soro-Weigand unvermeidlich zur Beschäftigung mit der eigenen Geschichte. Die Arbeiten Großmutters Segen und Großmutters Geheimnis zeigen die Auseinandersetzung mit den prägenden Einflüssen der beiden Großmütter mütter- und väterlicherseits. Die Frage nach dem „Wo komme ich her?“, nach den eigenen Wurzeln, war hier der künstlerische Antrieb. Prägende und nachhaltige Erinnerungen wie die segnende Hand der Großmutter sind hier zu sehen. Lebenswege, die sich verzweigen und neu erschlossen werden, bahnen sich ihren Weg durchs Bild. Und auch das immer wiederkehrende helle Grüntürkis, das für die Künstlerin eng mit Erinnerungen an die Farben der Kindheit und an die familiären Wurzeln in Sardinien verbunden ist, trägt Vergangenes in sich.
Diesen Gesamteindruck erzielt Susanna Soro-Weigand vor allem mit zahlreichen Farbschichten und einer speziellen Siebdrucktechnik, die sie bereits während ihres Studiums entwickelt hat. Sie nutzt das Sieb nicht im klassischen Sinne mit einer Foto-Schablone , sondern die Siebdruckgaze und Rakel dienen als Werkzeug zum Farbauftrag. Der Malprozess an sich ist eine zeitaufwendige, ja fast meditative Handlung, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken kann. Zunächst ist dabei der Weg das Ziel: wenn die Grundform der Figur angelegt ist, werden mithilfe des Siebes die Farbschichten aufgetragen, wieder aufgebrochen und von neuen Schichten überlagert. Oftmals bleibt noch ein letzter Hinweis auf eine darunterliegende Form stehen. So bilden sich durch zahlreiche Übermalungen immer wieder neue Formen heraus. Auf jede neue Schicht muss eine ‚Antwort‘ gefunden werden, bis ein Zustand eintritt, an dem die Künstlerin entscheidet aufzuhören und das Werk fertig ist. Bis dahin können bis zu 50 gemalte und gedruckte Schichten aufgebracht worden sein. Die bevorzugten Farbtöne sind stets hell und warm, es sind meist Erdtöne, mit einem leuchtenden Gelb oder Orange werden Akzente gesetzt.
Letzte Schichten bestehen meist aus Creme und Weiß. Motivik, Technik und Farbwahl lassen uns an verwitterte Fresken denken – an Malerei voller Geschichte und Vergangenheit. Das Schichten und das Aufbrechen der tieferen Ebenen stehen symbolisch für die Lebenszeit, die wir anhäufen sowie für die Erinnerungen, die sich überlagern. Und so werden die Farbschichten zum Sinnbild für bereits Gesehenes, Gehörtes, vielleicht auch längst Vergessenes, das wieder in Erinnerung gebracht wird. Und welche Verortung von Erinnerung wäre geeigneter als der menschliche Kopf? Hier ist es ein Kopf, der von der irdisch-realen Welt entrückt ist und fern von jeglicher Individualität, dem aber zugleich ein seelenvoller Ausdruck innewohnt. Eine besondere Ausstrahlung geht von ihnen aus: gelebtes Leben, Weisheit und Milde werden spürbar. Zugleich ist da eine große Ruhe, wenn sie uns wortlos mit geneigtem Kopf ihre Zuwendung – oder gar ihre Zuneigung – zeigen. Es wird das reflektiert, was neben den Worten existiert. Dennoch bleibt dieser Raum des Bildes wie der menschliche Kopf ein undurchdringlicher. Man kann sich nicht mit sachlichen Fragen oder einer rationalen Herangehensweise dieser Bildwelt annähern, man sich hineinspüren, sich darauf emotional einlassen.
Alexandra Simon-Tönges, M.A. Kunsthistorikerin
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